0 Mr. Mirakels Garten der Achtsamkeit

Wenn du dich durch all die wundersamen und besonderen Dinge im Laden hindurch gearbeitet und satt gesehen hast, gelangst du zu einem lichtdurchfluteten Innenhof. Sobald du die Hintertür des Ladens öffnest, nimmst du das sanfte Plätschern von Wasser wahr, denn mitten im Hof steht ein kleiner Springbrunnen. Auf seinem Rand tummeln sich metallene Eidechsen, Frösche, Libellen und andere Tiere, die sich gerne am Wasser aufhalten.
Der Boden des Hofes ist mit Keramikkacheln ausgelegt, die mit einem Dekor aus ineinander verschlungenen Blütenranken und Symbolen versehen sind. Sie muten orientalisch an und wirken irgendwie geheimnisvoll. Ob diese Symbole nicht nur Verzierung sind, sondern uns etwas sagen wollen? Verbirgt sich dort auf dem Boden des Innenhofes ein Rätsel, das darauf wartet, gelöst zu werden? Oder hat jemand Gedichtverse in einer uns unbekannten Sprache dort kunstvoll verewigt?

Wenn du dich umschaust, entdeckst du auch hier Bänke, die sehr bequem aussehen und zum Ausruhen auffordern. Der aromatische, frische Duft, der in der Luft liegt, kommt von den zahlreichen Pflanzen, die teils in großen Keramikkübeln oder in kleinen Beeten unser Auge erfreuen. Einige ranken sich auch am Mauerwerk hoch. Erkennst du die leuchtend lilafarbenen Glyzinien, die im Garten deiner Großeltern eine Pergola bewuchsen und dich jedes Frühjahr aufs Neue mit ihrer Pracht beglückt hatten? Was entdeckst du noch? Da gibt es Goldregen, so gelb! Und auch Passionsblumen. Und Weinranken. Einige Pflanzen sind dir vielleicht gar nicht bekannt. Hortensiensträucher, die du so liebst, sind da und Maiglöckchen und das tränende Herz, das du aus dem Innenhof vom Haus deiner Oma kennst und so gemocht hast. Besonders strahlend stechen die satt gelben Sonnenblumen hervor, die umrahmt sind von blauem Rittersporn.

Manchmal wird man beim Hinaustreten von einem zitronengelben Falter umschwirrt. Tatsächlich gibt es in diesem Hof neben bunten Schmetterlingen und verschiedensten anderen Insekten auch ein Papageien-Pärchen, Fritz und Lisa, die jeden Besucher fröhlich begrüßen mit ihrem: „Na, geht’s gut? Wunderbares Wetter heute, nicht?“
Es ist durchaus erlaubt und sogar erwünscht, sich ein Buch aus dem Regal zu nehmen, sich damit wahlweise auf eine sonnige oder schattige Bank zu setzen, und sich darein zu vertiefen und so in fremde Welten abzutauchen.
So klein dir dieser Innenhof im ersten Moment erschienen ist, du kannst darin durchaus lustwandeln, du setzt einfach einen Fuß vor den anderen. Dabei zeigen sich dir immer wieder neue Wege, mit Buchsbaum umsäumte Beete, auf denen vielerlei Gemüsesorten und Blumen einträchtig beisammen stehen und wunderbar gedeihen. Es gibt hinter Hecken auch hin und wieder lauschige Sitzgelegenheiten.

In der nordöstlichen Ecke des Gartens kannst du umrahmt von ineinander verflochtenen jungen Birken eine Weltkugel aus Messing entdecken. Mit dem Finger kannst du auf ihr reisen und bekommst dabei eine Ahnung davon, wie es sich an dem jeweiligen Ort anfühlen könnte, wie das Lebensgefühl dort ist, welche Art Vegetation es gäbe, wie da das Klima wäre, wie sich die Menschen miteinander unterhielten, was für Musik sie hörten, welche Kleidung sie trügen, was sie äßen und vieles mehr. Du kannst es spüren mit dem Finger auf dem Globus, als wärest du an dem jeweiligen Ort. So kannst du an einem Nachmittag kurz nach Japan reisen und mit deiner neu gewonnenen Freundin LinLan Sushi essen, einen Einkaufsbummel in Tokio machen und andächtig unter Kirschblütenbäumen den Fuji betrachten, ohne in ein Flugzeug zu steigen.

Folgst du dem Weg weiter zur südöstlichen Begrenzung, siehst du eine Pyramide ganz aus Kristall im Sonnenlicht glitzern. Neben der Pyramide steht ein Hinweisschild mit einem schwarzen Pfeil darauf, der nach rechts unten zeigt. Wagst du es, dem Pfeil zu folgen? Wagst du es, in die Pyramide einzutreten? Was siehst du dann? Wohin gelangst du?

Du hast dich also entschieden, die Pyramide zu betreten. Die Neugier hat überwogen. Hast du ein spezielles Anliegen, eine Frage, die dich beschäftigt? Oder bist du ganz unvoreingenommen hereinspaziert?

Folge einfach der langen gläsernen Treppe nach unten, folge dem Pfeil. Wirf noch einen letzten Blick in den Garten, schaue noch einmal in den blauen Himmel mit den luftigen Schäfchen-Wolken. Überschreite die Schwelle und lasse dich beim Eintritt wiegen. Keine Angst, das dient nur statistischen Zwecken. Und dann begebe dich Stufe für Stufe hinab ins Innere der Pyramide. Du wirst sehen, es bleibt auf deinem Weg in die Tiefe weiterhin schön hell und lichtdurchflutet dank der kristallenen Pyramidenkuppel, die das Sonnenlicht auf ganz besondere Weise bündelt. Erschrick bitte nicht, wenn ein besonders großer, schwarzer Käfer deinen Weg kreuzt. Er kommt dich willkommen heißen und wird dich auf deinem Weg begleiten. Es ist ein heiliger, ein magischer Käfer, ein Skarabäus.

Folge dem Skarabäus durch das Labyrinth im Inneren der Pyramide. Er weiß immer ganz genau, wo es lang geht und er kennt alle Geschichten vom Anbeginn der Welt an. Er kennt auch deine Geschichte ganz genau und weiß, warum du ihn aufsuchst.
Auf dem Weg zurück zum Ausgang der Pyramide wiegst du dich nochmals und stellst fest, dass du an Gewicht verloren hast. Wundere dich nicht. Das liegt ganz einfach daran, dass du schwere Gedanken und Sorgen abgelegt hast.

Wenn du die Pyramide wieder verlässt und im Sonnenlicht blinzelst, wirst du dich verjüngt, ja sogar komplett erneuert fühlen. Du bist frisch und voller Tatendrang. Und du wirst glasklar sehen, alle Verwirrung und Zweifel werden von dir abgefallen sein.
Als erstes lenkst du nun deine Schritte zurück zum Springbrunnen in den gemütlichen Innenhof. Auf der Bank liegt noch dein Buch, so wie du es verlassen hast. Auf einmal erscheint der die Stelle völlig klar, über die du eben noch so gegrübelt hast, dass du nicht mehr stillsitzen, sondern dich dringend bewegen musstest. Irgendetwas ist passiert. Du fühlst dich so leicht und befreit, völlig losgelöst, wie wenn du gerade mit einem Fallschirm vom Himmel hinab gesegelt wärst. Du spürst dieses unwiderstehliche ‚Au ja!‘ dem Leben gegenüber.
Was war dein AHA-Erlebnis und was wirst du nun als nächstes tun?

Du kannst auf der Bank verweilen, den Sonnenschein genießen und vor dich hin träumen. oder weiter in deinem Buch lesen. Du kannst einen Kaffee trinken und vielleicht ein köstliches Törtchen dazu essen. Auch für diese Köstlichkeiten ist Mr. Mirakels Laden ein Geheimtipp übrigens. Wenn du magst, kannst du aber auch den Garten weiter erkunden.