Elna saß wieder auf ihrem Lieblingsplatz unter der mit Glyzinien bewachsenen Pergola und schaute versonnen vor sich hin. So viel war passiert, seit ihr das erste Mal dieser merkwürdige Laden aufgefallen war. „Was suchst du?“ hatte in verschlungener Schrift auf der Eingangstür gestanden. Und ein leichter Hauch von Zimt war ihr entgegengeweht. „Komisch, ich gehe doch fast jeden Tag hier vorbei. Wieso ist mir dieser Laden vorher nicht aufgefallen?“ Gleichzeitig war ihr Gehirn schon damit beschäftigt, eine Antwort auf die gerade gelesene Frage zu finden. „Was ich hier suche? Veränderung, Mensch, Veränderung! So kann das nicht weitergehen! Immer nur arbeiten und dann zu müde sein, um etwas Schönes zu unternehmen. Abends kurz vor dem Fernseher abhängen, ins Bett gehen, aufstehen, arbeiten und immer so weiter. Ach Mensch, seufz.“ „Okay, ich suche einen Weg raus aus dem alltäglichen Hamsterrad. Ich wünsche mir eine Prise Abenteuer, ein Quentchen Freude, ein Löffelchen mal gar nichts tun. Einen Tag die Wand anstarren, einen Nachmittag auf der Wiese liegen und die Wolken ziehen sehen, eine Stunde aus dem Fenster starren, ohne etwas zu sehen. Die To-do-Liste verbrennen, das Telefon abstellen, der Welt die Zunge raus strecken und sagen: ‚Ich bin heute nicht da – geschlossen – out of duty.‘“
Entschlossen und mit dem Gefühl „Jetzt reicht’s!“ hatte sie die Ladentür aufgestoßen und war schnurstracks eingetreten. Der Raum war viel heller und größer gewesen als es von außen den Anschein hatte. Es gab Wegweiserschilder wie:
– Kleine Erfrischung gefällig? Hier entlang.
– Du suchst Entspannung? Lass dich von der blauen Linie leiten.
– Dir ist gerade alles zu viel und du weißt nicht, wo dein Kopf steht? Bitte dreimal um die eigene Achse drehen und dann der Wendeltreppe nach unten folgen.
– Eine wichtige Entscheidung steht an? Bitte klingeln. Du wirst gleich abgeholt.
– Du bist traurig, hast einen lieben Menschen verloren, dich getrennt, deine Arbeit verloren, bist umgezogen, bist verletzt worden, fühlst dich allein gelassen? Dann sei besonders nett zu dir, lass dich mal richtig verwöhnen, kuschel dich ein, lass dir Komplimente machen. Begib dich in unsere Wohlfühloase. Biege dreimal links um die Ecke. Dort wirst du genau das finden, wozu dir gerade zu Mute ist.
– Du bist voller Angst und traust dir gar nichts zu und ziehst gerne alles in Zweifel? Nimm die große Freitreppe direkt vor dir und begib dich in den ersten Stock. Dort findest du einen Raum voller Spiegel. In den Spiegeln siehst du dich so, wie du bist, wie du dich gerne siehst, wie du dich siehst, wenn du dich gut fühlst und mit dir und der Welt zufrieden bist.
Elna hatte sich für letzteres entschieden und sich in einem großen, hellen Raum mit Spiegeln an den Wänden wiedergefunden. Das Licht war angenehm gewesen. und ihr Anblick, den die Spiegel wieder gaben, war verblüffend gewesen. So hatte sie sich noch nie gesehen: so vor Energie sprühend, von innen leuchtend, so ganz klar und ihrer selbst bewußt. In ihrem Spiegelbild war sie so wunderschön gewesen, dass es ihr die Sprache verschlagen und sie kurz das Atmen vergessen hatte..